Sonntag, 8. Juni 2008

Attention, attention

Ich sitze am Counter in meiner Abteilung, Justus Köhncke läuft; Chris hat die Musik ausgesucht. Ich bin müde, sehr müde. Ich tippe etwas halbherzig Interpreten in den PC ein, weil ich wissen möchte, was als nächste Veröffentlichung bei diesen Künstlern ansteht. Lady Sovereign sollte doch im Frühjahr ein neues Album raus bringen. Nichts. Jetzt bin ich traurig. Und müde. Mittlerweile ist uns die wundervolle Möglichkeit gegeben, die original Englandpressung von Amy Winehouses bahnbrechendem „Frank“ zu bestellen; entdecke ich grad in meinem System. Soll ich es tun? Dann hätte ich „Frank“ zweimal in meinem Regal zu stehen. Obwohl ich im Grunde kein Regal für meine CDs habe, denn mein Fußboden dient als Stapelfläche. Order ich den Erstdruck ausm UK? Geldverschwendung? Sammlerherz?
Mein Magen knurrt, meine Mittagspause nähert sich nur schleppend. In Deutschland sagt man seit zwei Stunden Mahlzeit. Heilige Mutter Maria und auch Jesus, wie oft ich dieses Wort am Tage höre…
Ich werde aus meinem Gedankensog gerissen. Von links nähert sich ein fettbäuchiger, Haare getönter und die Matte nach hinten gegelter, in sich selbstverliebter, geschmackloser (weil enge Hose in blau und darüber ein buntes Elastik Shirt mit nicht lesbaren Schriftzügen, etwa fünf Nummern zu klein und aus diesen ganzen Gründen optische Verstümmelung, denn sein Bauch, Wanst, Vorbau quillt -mich quasi hämisch angrinsend- über seine Hose und springt mir direkt in mein Gesicht. Aber er ist cool, trägt es mit Fassung und trägt seinen Bauch wie eine Medaille oder ein besonders hübsches Schmuckstück) Mittdreißiger.
Er und sein Anhang (Bauch) bahnen sich den Weg zu mir. Ich komme mir sehr hilflos vor, keiner meiner Kollegen ist in rettender Nähe und ich weiß, ich muss jetzt stark sein und da ganz alleine durch.
Gesagt, aber noch nicht getan.
Der Schmerbauch legt seinen linken Arm auf den Bau unserer Info, der Platz, an dem nur ich meinen Arm platziere, wenn ich ansehnlich lässig wirken möchte im Gespräch mit wirklich musikinteressierten Kunden. Whatever.
„Wo issn das neue Album vonne Rammstein hier bei euch?“
Ich sage
„Hallo“, wobei die Betonung auf dem O liegt.
„Ja Hi!“ Eine tiefe, schnoddrige, altberliner Stimme schmalzt sich in meinen Gehörgang.
Und das ist auch der einzige Pluspunkt des Mittdreißigers; sein berlinern. Denn ich meine, wann begegnet man heute in Berlin schon noch einem richtigen Berliner?
Ich lasse meine Pupillen verängstigt von links nach rechts wandern, nur nicht in sein glänzendes Gesicht.
Vorsichtig, fast fragend, aber dennoch sehr bestimmt sage ich nach einigen Sekunden
„Also…ich bin zwar nur durchschnittlich firm was diese Musikrichtung betrifft, aber dennoch kann ich Ihnen versichern, dass von Rammstein kein neues Studioalbum erschienen ist in der letzten Zeit.“
Sein Blick und die Sonnenbrille, die er selbstischer in seiner linken Wursthand umherwirbelt sollen mir signalisieren „Puppe, du hast doch überhaupt gar keine Ahnung, zieh dich lieber aus oder so was…und besorg mir einen Mitarbeiter, der wirklich einen Plan hier hat!“.
Nachdem er tief einatmet, spricht er
„Klaa habn se.“
-Kurze Pause, in der ich fast beginne an mir selbst zu zweifeln-
„Heißt Sängerkrieg…“
„Allet kla?“
„Aaaach Sie meinen das Album von In Extremo, was kurzzeitig für Furore sorgte, weil es eine Woche lang auf Platz 1 der deutschen longplayer charts war? Das, welches es in mehreren editions gibt, unter Anderem auch mit einem Fan T-Shirt?!“
Grundgütiger muss ich mir das Lachen verkneifen. Ich schlucke es in meinen Bauch, der daraufhin fast das gleiche Volumen wie der des Kunden erreicht.
„Jaa, nn, mmm.“ Murmelt er vor sich hin.
Ich stehe auf und geleite ihn zu der groß aufgebauten Fläche, wo alle Editionen von „Sängerkrieg“ aufgebaut sind. Vielleicht hat er sie auch wegen dem immensen UV Schutz seiner Sonnenbrille nicht gesehen, immerhin ist er daran vorbeigelaufen auf dem Weg zum Counter. Zur Info. Zu mir. In mein Leben.

Ohne sich zu verabschieden, geschweige denn sich zu bedanken, verlässt er unsere Abteilung mit einer In Extremo CD, die er fast versucht zu verstecken. Klappt natürlich nicht so exzellent mit kleinen Händen.

Schnellen Schrittes stolziere ich ins Dispo um meinen Kollegen von dem abenteuerlichen Erlebnis zu berichten. Der tolle Typ (aka Micha), der verantwortlich für die Bereiche Hard’n’Heavy und Indie ist, hat beinah Schmerzen, nachdem er die Geschichte gehört hat.

Ach ja, sich einfach mal vorher zu informieren würde so vieles im Leben erleichtern. Oder wenigstens zugeben, dass man kein Plan von nüscht hat und sich nicht so profilieren.

Ich mag Björk. Leider bringt diese in nächster Zeit nichts Neues raus. Nur ein paar limitierte white label Platten im letzten Quartal. Aber ich kann ja mal zu Saturn rüber laufen und nachfragen…die wissen das bestimmt.

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