Dienstag, 22. Juli 2008

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Wir schreiben Dienstag, den 22.Juli 2008. Ich bin 21 Jahre, sechs Monate und drei Tage alt. Jung. Am 24.Dezember 2000 bekam ich mein erstes Mobiltelefon geschenkt, es war ein Nokia 3210, das tollste Handy, was es gab. Und irgendwie auch immer noch gibt, denn das Display war wirklich außergewöhnlich schön; also von den Lichtverhältnissen her. Doch vielleicht sage ich das nur, weil es mein erstes Handy war und wenn man von einer fortlaufenden Sache die erste Ausgabe hat, ist diese eh immer am Schönsten.
Ungefähr so wie in der Liebe.
Das 3210 entsprach also allem, was ich seinerzeit brauchte. Ich konnte Nummern speichern, mit Leuten, die man nur ab und zu sieht in Kontakt bleiben, Anrufe tätigen und…ja und…Snake spielen. Mein Gott, wie viel Mathestunden ich mit Snake rumbekommen habe! An dieser Stelle und aus old-school Gründen: ein Hoch auf Snake!
Jedenfalls nahm das Nokia keinen großen Stellenwert in meinem Leben ein, meine Mutter fand es gut, dass sie mich erreichen konnte, wenn ich mal wieder tagelang nicht nach Hause kam und ich fand es gut, dass eine Verabredung mit dem Ticker weniger problematisch war, da man durch ein Telefonat genau wusste wo er war. Oder eben nicht war.
Ich hatte von Anfang an ein Prepaid Karten Handy und mich hat das nie gestört, ich gehörte ohnehin nicht dieser jugendlichen Gruppierung an, die ihr ganzes Geld oder vielmehr das der Eltern für 500 Sms im Monat zum Fenster hinauswarf. Ich kann an dieser Stelle also behaupten, in Punkto Kosten sehr, sehr vernünftig gewesen zu sein. Diese Gesinnung änderte sich auch nie, genau wie meine Handymodelle. Ich hatte allenfalls vier oder fünf Mobiltelefone in meiner Jugend.
Im zarten Alter von 16 Jahren verlegte ich mein Handy zum ersten Mal für einen längeren Zeitraum. (Es fiel hinter ein Bett)
Und.
Es war seltsam.
Nicht schlimm, da alle meine damaligen Freunde in meinem näheren Umkreis wohnten und somit auch alle über mein nicht-mehr-Besitztum in Kenntnis gesetzt worden waren. Ungewohnt und irgendwie auch störend war nur, dass ich mit meinem Handy nicht Nummern sondern auch eine Uhr verlor. Ich hatte wirkliche Probleme, mich anzupassen; zeitlich gesehen. Das war so das Negativste, was mir von besagtem Verlust hängen geblieben ist. Doch nach dem Regen kommt die Sonne und unterbewusst war mir ja auch klar, dass sich das Ding wieder anfinden würde. Und es fand.
Sich an.
Das widerrum war sehr positiv. Aber irgendwie kam ich mir blöd vor als ich es wieder hatte, denn weshalb –fragte ich mich- hatte ich mich ohne es unvollständig gefühlt? Es ist doch nur ein Prestige Gegenstand, von dem vorausgesetzt wird, dass es heutzutage jeder hat und überhaupt am Besten mit ganz vielen Bildern und noch mehr Musik beladen.

Nun ja. Ich blieb meiner Überzeugung treu, durch ein Mobiltelefon eine Uhr und die Verbindungen zu meinem Ticker und meiner Mutter zu haben.
Selbst als ich 18 Jahre alt war und wirtschaftlich und überhaupt selbstständig war, sah ich keine Notwendigkeit darin, mir einen Handyvertrag anzuschaffen.

Zwischenfrage: Was verdammt soll so gut daran sein, überall, ständig und zu jeder beschissenen Tageszeit erreich- und ab- beziehungsweise anrufbar zu sein?

Irgendwann vor circa einem dreiviertel Jahr dann überrollte mich die schicke Walkman-Handy-Foto-Blitzlicht-2GB Musikspeicher-Welle und ich schloss einen Vertrag mit dazugehörigem Handy der allerneuesten Generation ab.

Der Anfang vom Ende, ich weiß.

Trotz dessen änderte sich nichts an meinem Verhalten. Bis heute nicht. Ich schreibe täglich Sms, aber nicht mehr als drei Stück. Ja gut, ich telefoniere tatsächlich mehr, aber auch nur weil ich sonst meine 100 Freiminuten im Monat nicht ausschöpfen würde und das wäre doch irgendwie Geldverschwendung oder?
Oder werden wir Konsumenten etwa durch solche Freiminuten Pakete dazu verleitet, andauernd jemanden anzurufen? Ich meine, ich fasse mir schon selbst an die Nase, wenn ich überlege, was für schwachsinnige Gespräche ich manchmal mit Leuten führe. Vor allem wenn ich diese Leute dann zwei Stunden später sowieso sehe.

Wem nützt das?

Ging doch früher in den guten alten Tagen auch alles irgendwie.

Doch das Grausamste ist –wie ich finde- dass definitiv durch diese ganze mediale Kacke die Romantik völlig auf der Strecke bleibt. Nehmen wir einmal Liebesbriefe. Hallo!
Ich bin nicht der Meinung, dass es Liebesbriefe (damit sind keine post-it’s gemeint) heute nicht mehr gibt, weil sie eine Erscheinung später Kindheit und früher Jugend sind, sondern weil sie zum Teufel noch mal von Sms ersetzt wurden! Logisch, wer macht sich schon die Mühe, schön leserlich mit gutschreibendem Kuli ein sauberes Blatt Papier mit liebevollen Sätzen zu beschreiben, wenn man einfach in das Ding, was man ohnehin die ganze Zeit in der Hosentasche hat, ein paar nette Worte eintippen kann? Und wem die Spucke weg bleibt, na für den gibt es ja noch T9.

Was auch immer.

Worauf ich eigentlich mit meiner kleinen Geschichte hinaus will, ist zwar etwas unspektakulär, für mich aber sehr Gedanken anstoßend.
Neulich also, zugegebener Maßen im Rausch, verlor ich mein todschickes (Prestige) rotes, mit Ornamenten verziertes Sony Ericsson Vertragstelefon.
Leider war in diesem Fall die Möglichkeit auf ein wieder Finden wie damals vor ein paar Jahren ausgeschlossen, da ich es nicht bei jemanden zu Hause verlor, sondern an irgendeinem öffentlichen Platz.
Scheiße.
Das ganze Bürokratiezeugs war mir ziemlich egal, von wegen Vertragspartner darüber informieren etc., pp., usw.
Wichtig und schockierend war, dass ich erstens nicht mehr das Foto hatte, auf dem ich so unglaublich gut aussah und zweitens, dass meine Beziehung beinah komplett auf dem Spiel stand.
Denn den Jungen, von dem ich alles hatte und der überall bei mir war; in meinem Zimmer, in meinem Bett, in meinem Portmonee, in meinem E-Mail Posteingang, im Haus meiner Eltern, in meinem Kleiderschrank, in meinem Fotoalbum, in meinem Kopf und -am Schwerwiegendsten- in meinem Herzen…den konnte ich nicht mehr erreichen.
Ein Mensch, dem man sein Herz schenkt, seine Seele leiht, seinen Kopf borgt, sein Leben anvertraut, ist einfach weg. Und warum?

Weil man seine beschissene Handynummer nicht wählen kann?
Nicht auswendig kann?

Jesus, was ist das denn? (Natürlich ist mir klar, dass Jesus dafür der völlig falsche Ansprechpartner ist)
Ich kam mir plötzlich so verloren vor; wie von einem Zug überrollt. Dabei war es gerade mal ein paar Minuten her, dass ich meinen Verlust bemerkte.

Schweißausbruch, Verdacht auf baldige Tränen, Zittern der Hände.
Und wie spät ist es überhaupt?

Ein Bier, nein, eine Zigarette, nein, nachdenken. Nachdenken!

Ein beruhigendes Gefühl durchbrach meine Gedankenhölle.
Die Glühbirne über meinem rauchenden Kopf.

Zum Glück weiß ich ja noch wo er wohnt.

P.S. Einen Tag nach diesem Ereignis hämmerte ich mir die Nummer meines Freundes mit viel Geduld und noch mehr Eselsbrücken dann endlich in meinen Kopf. Sollte ich eines Tages mal ins Koma fallen, wäre der erste Satz, den ich nach Wiedererlangen meiner körperlichen und geistigen Selbstkontrolle sprechen würde: „Seine Nummer ist 0171…“.

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