Dienstag, 27. April 2010

30 Tage sind 720 Stunden sind 43200 Minuten sind 2.592.000,00 Sekunden

Ein flüchtiger Blick auf meinen digitalen Wecker lässt mich wissen, dass es bereits 4:45 Uhr ist, in 15 Minuten muss ich anfangen zu arbeiten. Doch keine Hektik, alles ist entspannt, meine Haare habe ich seit fuenf Tagen nicht gewaschen und zum Zähne putzen brauche ich ohnehin nicht länger als vier Minuten; ich bin also sehr gut in der Zeit. Währenddessen ich meine Latschen in der aufgehenden Sonne suche, schalte ich den Snooze Alarm meines Weckers aus. Den Snooze Alarm, den Snooze Alarm, wo ist gleich der Snooze Alarm? Hier die Temperatur und die Uhrzeit, das Datum und ach da, die kleine Glocke für den Snooz... das Datum? Oh guter Gott das Datum!

Der 27.April 2010.
Es ist exakt einen Monat her, als ich verschlafen, stinkend, herzrasend, mutterseelenallein, ungekämmt und mit einer Restfahne (eine aus Berlin vom Sekt, eine aus Saudi Arabien vom Flughafen und eine aus dem Flugzeug vom Heineken) (Nebenbei bemerkt war dies das ekelhafteste Heineken, das ich je getrunken habe) auf einem anderen Kontinent; in Johannesburg landete. Ich hatte zuvor nur ein unscharfes Foto von demjenigen, der mich hier abholen sollte, per E-Mail zugeschickt bekommen. Da standen sie nun alle. Nur nicht der Typ von dem Bild.
Die Eingangs- oder Ausgangshalle, je nachdem von welcher Warte man das betrachten möge, quillt nur so über vor freudigen Gesichtern, Kleinkinder mit Kuscheltieren in der Hand, Frauen mit Plakaten, Männern mit Blumensträußen. Und mir. Ja es war fast eine Explosion, ich und diese riesige Halle. Ich versuchte mich so gut es ging sophisticated zu verhalten, irgendwie seriös zu wirken. Mit meinen 3 Tage alten karierten Hemd, meiner ausgebeulten Jeans, den halbwegs polierten Sneakern, dem Trekkingrucksack und der zitternden Hand, die so offensichtlich nach nichts als einer Zigarette verlangte. Gerade als ich mich mit kleinen, vorsichtigen Schritten dem Ausgang näherte, weil ich mir paranoiageschwängert schon ausgemalt hatte, dass diese ganze Aktion hier nach hinten losgehen würde und ich mir nun schnellstens einen Plan B machen müsse denn abholen tut mich ja hier eh niemand mehr (außerdem hatte ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen McDonalds durch die riesigen, geputzten Fenster erspäht), ja genau in diesem Moment baute sich ein liebenswürdig dreinblickender Mann mittleren Alters vor mir auf und fragte mich in einer Stimmlage, die sämtliche Steine von meinem Herzen fielen ließ
”Bist du Steffi?”

Ich kann gar nicht bis sehr schwer begreifen, dass diese Begebenheit schon wieder vier Wochen her sein soll. Die Zeit ist wirklich nicht mein Freund, vielleicht werde ich sie jetzt noch stiefmütterlicher behandeln, doch vielleicht wäre es auch angemessen mich endlich auf ihre Seite zu schlagen. Ich weiß es noch nicht.

Doch die Sanduhr scheint es gut mit mir zu meinen.
Ich habe schon jetzt soviel von diesem faszinierenden Land gesehen, als würde ich einmal von Erfurt nach Berlin und dann mit der Regionalbahn zur Ostsee reisen. Vor meinem Fenster wächst ein Guavenbaum und ein Strauch mit Strelizia , die Nationalblume Südafrikas, welche in Europa bis zu 20 Euro das Stück kostet. Überhaupt habe ich einen erschreckend guten Ausblick hier. Keine nächste Häuserfront, keine übernächsten Dächer, keine dahinterliegenden Ausstöße eines Industrieschornsteins. Mein Zimmer habe ich bereits in den ersten Tagen so umgestellt, dass es meinen Vorlieben und Bedürfnissen entspricht. Das bedeutet im Großen und Ganzen allerdings nur, dass ich den Schreibtisch so platziert habe, dass mein Laptopkabel ans Stromnetz reicht, dass ein Cat Power Poster hängtund dass ich mir ein zweites Kissen für mein Bett holte sowie eine Lampe zum Lesen. Lesen. Eine fast gespenstische Ruhe in der Nacht zwingt mich hier zum Lesen. Wenn ich nicht gerade schreibe versteht sich.

Patrick Süskind “Die Geschichte von Herrn Sommer” - warum ich das nicht vorher schon kannte? Großartig leichte und bildhafte Erzählungsweise.

Iwan Krylow s “Kleiner Weltspiegel” - einer der unterschätztesten Dichter Russlands und mit dem -meiner Meinung nach- symphatischen doch nicht imitierten Hang zu Wilhem Busch.

Jerry Cotton “Der Hypnose Mörder” - ja immer und immer wieder.

Neulich begann ich ein paar Seiten in “Geist und Psyche - Neurose, Charakter, soziale Umwelt” von Hans Strotzka zu lesen, doch ich langweilte mich schnell, da mir seine Hypothesen wie diese erschienen, die ich selbst schon aufstellte und abgesehen davon finde ich Hans Strotzka ziemlich unattraktiv, was es mir schwierig macht, meine Konzentration nicht zu verlieren. So werde ich nun mit Airen's Strobo anfangen und davon ausgehen große Zufriedenheit mit seinen Worten zu erlangen.

Meinen ersten Regen erlebte ich hier, es ist ungefähr elf Tage her und fühlte sich so sehr nach zu Hause an, dass die Wassertropfen mit Salz getränkt und meine Tränen waren. Diese romantische Grundstimmung hielt mich dann auch davon ab im Gegensatz zu allen Anderen in Panik auszubrechen, als der Regen zu einem kräftigen Sturm wurde und schließlich zu einem zweitägigen Stromausfall des ganzen Ortes führte. Blöd war einzig, dass ich meinen iPod nicht aufladen konnte und weitestgehend musikfrei war, obwohl auch das nicht wirklich schlimm war, da ein jeder Mensch hier singt, wo er geht und wo er steht.

Ich war schon eine Hand (oder zwei) voll mal aus und kann die Feieratmosphäre der schwarzen Menschen -und ich meine die wirklich Schwarzen- mit nichts vergleichen, was ich zuvor erlebt und gehört habe.

So ist es kein Liebeskummer
Denn auch hier habe ich mein dröhnendes Boxengewummer.

Ein paar, ich möchte sie als flüchtig Bekannte einstufen, doch da hier alles viel emphatischer und familiärer ist kann ich sagen, -Freunde- von mir zeigen mir die hot Spots und verraten was ich wissen muss, wenn ich nicht an der Lebensform der Alteingesessenen mit 3 Frauen und 15 Kindern interessiert bin. Natürlich bin ich das nicht und somit lernte ich nach einer Woche den Jive, den Tanzstil der Clubs im bunten, tobenden Südostafrika. Zu diesem Abschnitt möchte ich noch hinzufügen, dass die Aloe Pflanze das grandioseste natürliche Rauschmittel ist, was ich bisher kannte und wenn man dann noch zwei oder drei von diesen hier trinkt
savanna.co.za
Sollte es keinerlei Probleme mehr geben.
Des Weiteren habe ich mir vorgenommen Schirmherrin der selbst erdachten Foundation zum “Import South African House Music” zu werden. Kurz ISAHM, ob ich damit der SBMG Konkurrenz machen könnte? Ein Versuch ist es wert.

Fern ab von dem, was im Grunde jede größere Stadt zu bieten hat und das wäre die Partykultur, habe ich letztens einen ganzen Tag mit einem Ranger auf seiner Ranch verbracht und mich so frei, neugierig, lernwillig, dreckig (aber das positive dreckig , dieses was mit 5 Jahren das Reinheitsgebot schlechthin ist, wenn man im Baumwollschlüpper Sandburgen und selbsterdachte Schlösser mit Matsch baut) und ungescholten gefühlt wie schon Monate nicht mehr. Ach was rede ich; Jahre ja Jahrzehnte müssen es gewesen sein. Ich glaube ich habe das Gefühl mit der Einschulung in die erste Klasse verloren - so was in dem Dreh.
Wie dem auch sei habe ich an diesem Tag viele Tiere gesehen, aus nähester Nähe auch, und so viele wunderschöne Pflanzen, die Mutter Natur einst hervorgebracht hat, dass es mir vor lauter Ästhetik beinah das Herz zerrissen hätte. Der Ranger zeigte mir einen angeblich Jahrhunderte alten Baum, der, wenn man die Rinde korrekt bearbeitet, Malaria heilen kann. Das wiederum war ein bitterer Beigeschmack der Erkundungstour, denn meines Erachtens nach hat er da ein bisschen zu weit ausgeholt. Wohl weil er mich beeindrucken wollte, wohl weil er mich versucht hat ins Bett zu kriegen am Ende des Tages. Ich habe kein Schild mit der Aufschrift “Oranienburger Straße” an dem Abend gesehen und mich freundlich verabschiedet.

Wer von euch nach den ganzen Versen jetzt denkt, dass ich mir hier nur die Sonne aus dem A*sch scheinen lasse und mich von vorne bis hinten im living the good life erprobe, dem kann ich den Wind nun aus den Segeln nehmen. Erstens scheint die Sonne nämlich von oben und zweitens habe ich die Hälfte des Monats April mit arbeiten verbracht. Und nicht einfach nur mal ein paar Tomaten pflücken und das ein oder andere Beet pflügen, nein, es war körperlich erschöpfend. Denn man darf nicht vergessen, dass dieses Anwesen auf dem ich lebe zwar riesengroß (auf unsere Fläche passt das Alexa Einkaufscenter gefühlte 30 mal) (für alle, die das Alexa nicht kennen, nein halt, ich glaube die Leute gibt es nicht also kann ich die Klammer wieder schließen), zum Abenteuer einladend und allgemein beschäftigend ist, so ist es doch auch eine Ferienunterkunft beziehungsweise Hotelanlage. Und somit waren meine drei Kolleginnen und ich zwölf Tage am Stück damit beschäftigt circa 70 Gäste mit full catering zu betreuen. Was im Klartext bedeutet um 5 Uhr anfangen zu arbeiten und um 23 Uhr knallebreit den Hammer endlich fallen lassen zu können um ein paar Stunden später bei dem weiterzumachen, wo man ja eigentlich aufgehört hat. Nach diesen knapp zwei Wochen hatte ich drei Einsichten.
Die Erste: Ich konnte meine Hose um ein Gürtelloch enger schnallen.
Die Zweite: Es ist viel cooler im background zu arbeiten, wo einen die Leute nicht sehen.
Die Dritte: Ich glaube ich werde ein Jahr lang kein Fleisch essen.

Denn Fleisch bedeutet hier Rind. Rind vom Allerfeinsten. Kuh, Gnu, Giraffe, Zebra, was-weiß-ich. Der guten Kinderstube zuliebe probierte ich mich an diesem Geschmack aus und musste daraufhin ungefähr fünf Tassen schwarzen Kaffee trinken, um den schrecklichen Geschmack aus meinem Mund und Geschmacksnerven zu bekommen.

Er ist immer noch da.
Ich bin immer noch da.
Jeden Tag ein Stückchen mehr.

Eine schwarze Frau hat mir letzte Woche auf einer Party, bei der mir der Schweiß schon an der Eingangstür das Gesicht runterrann, an den Po gefasst. Obwohl fassen noch milde ausgedrückt ist, es war eigentlich mehr ein begieriges Kneten.

Ich trinke drei Liter Wasser am Tag, nicht weil es gut für den Körper ist, nein weil ich sonst austrocknen würde.

Ich hatte erst ein einziges Mal einen Pullover an.

Meine Fingernägel schneide ich selten, meistens brechen sie einfach so bei einem Arbeitsvorgang ab.

Wo ich grad beim Brechen bin.
Ich habe einen Spiegel zerbrochen und frage mich ob das jetzt eine Glückssträhne einläutet. Es war keine mutwillige Zerstörung; es war die ganz normale Art und Weise, mit der ich gegen Dinge stoße, sie runterreiße oder ganz unschuldig kaputt mache. Um ehrlich zu sein ist das mit dem Spiegel auch erst vor 70 Minuten passiert, als ich den Laptop aus meinem Schrank holte um das hier alles niederzuschreiben.
Der April ist also um. Gut so, ich fand den April sowieso noch nie so toll.

Nun habe ich erstmal einen halben Monat frei, in dem ich zu dem oben erwähnten Prollo-Ranger nach Swaziland fahre. Er baut dort an einer Touristenaktion mit und ich helfe. Da haben ein paar Jungs vor, mitten im tiefsten Busch so eine Art Adrenalin-Park zu bauen mit wildwasser-rafting, jumping und A und O. Wyldyle Game Reserve soll sich das alles dann schimpfen - ich zeige mich wie immer unvoreingenommen und werde mal sehen, was da auf mich zurollen wird.

In irgendeiner dunklen Nacht konnte ich vor Hitze übrigens nicht schlafen und hatte die Erleuchtung durch und durch. Obwohl es mehr ein logischer Schritt in die nächste Richtung war, wenn man nicht stagnieren möchte. So habe ich mich mit mir ganz allein beschlossen meinen Fokus auf Geschichten zu setzen, denn ich bin es leid immer nur zu reimen und subtil dramatische Verse nieder zu tippen. Wer mich näher kennt, weiß natürlich dass es für mich unmöglich ist keine Gedichte mehr zu schreiben.
Ja richtig. Doch soweit es möglich ist, wird es reduziert und nicht mehr so oft publiziert, denn Butter bei die Fische; so was wie dies hier zu lesen macht doch zwanzig Mal mehr Vergnügen als

Wir waren hier und dort und da
So lang her und dennoch greifbar nah
Deine Hand in meiner
Denn meine Hand, die hat sonst keiner.

Meine Beine sind von Mückenstichen geziert. Um nicht zu sagen gezeichnet. Ein Drittel ist ganz frisch, das zweite Drittel ist verschorft und das letzte Drittel ist schon fast verheilt.

Nein, ich habe immer noch kein Fenestil Gel.
Und ja ich bin immer noch glücklich.
Jeden Tag ein Stückchen mehr.

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